Mittwoch, 6. Januar 2010

Es hat im Dritten Reich keine Helden gegeben

Theophil Wurm war eine zwiespältige Gestalt. Als er im Herbst 1934 von den Deutschen Christen abgesetzt wurde, gab es vor seiner Wohnung in der Silberburgstraße die größte Freiluftdemonstration gegen die Nazis während des Dritten Reichs innerhalb Deutschlands mit etwa 6000 Menschen. Ich habe dazu in der Silberburgstraße eine Tafel anbringen lassen weniger wegen Wurm, sondern der Württemberger. Wäre der 20. Juli 1944 gelungen, hätte Wurm den neuen Staat ausrufen sollen. Er kam nur deswegen nicht vor Gericht, weil Hitler die taktische Marschroute ausgegeben hatte, dass die Bischöfe geschont werden (u. a. wegen der Vorgänge
im Herbst 1934). Zugleich war ein Vertreter des Antisemitismus Er saß für die stark rechts gerichtete Bürgerpartei in den Zwanziger Jahren im weltlichen Landtag von Württemberg.
Wenn der Staat ihn angriff, brachte er gern dies in Erinnerung. Grafeneck beanstandeten schon private Personen mit mehr Mut vor ihm. Er musste etwas dagegen tun, weil Grafeneck als erste Einrichtung, in denen Nazis Menschen töteten, in Württemberg lag. Ausgeheckt wurde Grafeneck in Stuttgart 150 Meter von der Stiftskirche entfernt. Z. B. ist es eine Legende, dass der Religiöse Sozialist Gotthilf Schenkel dank Wurm aus dem KZ freikam, weil Schenkel nie im KZ war.

Auch Karl Barth hat mit seinem Wort Während die Lutheraner schliefen, haben die Reformierten gewacht Unrecht. Dieses Wort bezieht sich auf eine Dreierzusammenkunft in einem Frankfurter Hotel, das Barmen vorbereitete und in dem die beiden lutheranischen Vertreter einen Mittagsschlaf abhielten. Karl Barth formulierte in dieser Zeit nicht eigenständig das Barmer Bekenntnis, sondern veränderte geringfügig die Berner Erklärung seines Freundes Adolf Keller vom März 1934. Keller war Generalsekretär des Schweizerischen Evang. Kirchenbundes und ein bekannter Ökumeniker. Den Nazis musste verschwiegen werden, dass dieses Wort aus dem Ausland stammt. Der erste öffentliche Auftritt der Bekennenden Kirche war nicht, wie verschiedentlich behauptet, in Barmen Ende Mai 1934. Barmen war vielmehr die Folge des Ulmer Bekenntniskirchentags im April 1934, bei dem die Lutheraner allein auftraten.

Dietrich Bonhoeffer war kein einsamer Ökumeniker. Sein Lehrer war der Berliner Theologieprofessor Adolf Deissmann, der die Konferenz für ökumenische Zusammenarbeit der Professoren der Theologie leitete. Sie ist nicht bekannt, weil sie sich vermutlich auf Betreiben der Nazis auflösen musste.
Es gibt also keine einsamen Helden im Kirchenkampf.

Am 21. Januar 1934 hat sich in Niederstetten Pfarrer Hermann Umfrid das Leben genommen, weil er im Gottesdienst des letzten Januarsonntags zur einjährigen Wiederkehr der nationalsozialistischen Machtergreifung ein Ja zum Nationalsozialismus aussprechen sollte. Heute noch ist es im Oberkirchenrat in der Gänsheidestraße so, dass von Personen aus dieser Zeit mit Theophil Wurm nur die Person berücksichtigt ist, die für den Tod von Umfrid verantwortlich ist, aber nicht die beiden Umfrids. Vater Otto Umfrid war als Mitgründer, 2. Vorsitzender und Chefdenker der Deutschen Friedensgesellschaft 1914 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Der Jüdische Nationalfonds Frankfurt fördert Bäume für Hermann Umfrid bei Beersheba
Amerikanische Juden, die aus Niederstetten stammen, bzw. deren Nachfahren haben in einem Hain bei Beersheba im wüstenhaften Süden Israels 100 Bäume im Gedenken an Hermann Umfrid pflanzen lassen. Damit der israelitische Staat eine Gedenktafel anbringt, müssen allerdings 1000 Bäume gepflanzt werden. Es wäre schön, wenn nun auch Deutsche in diese Sache einsteigen und beim Jüdischen Nationalfonds in Frankfurt Bäume für Hermann Umfrid spenden. Sie erhalten dafür dann von diesem Fonds ein Gedenkblatt.

Deutscher Kirchenkampf und Weltkirchenrat

Meine Doktorarbeit bringt neue Erkenntnisse, weil ich dazu auch ins Ausland nach London, Basel und Bern gegangen bin. Der Engländer George Bell, Präsident des Weltkirchenrats, äußert sich positiv über die württembergische Kirche. Seine Informationen über den deutschen Widerstand hat er nicht von seinem Freund Dietrich Bonhoeffer, sondern vom Evang. Oberkirchenrat in Stuttgart über die Basler Mission und deren Präsidenten Alphons Koechlin, der auch offizieller Delegierter des Weltkirchenrats beim Barmer Bekenntnis Ende Mai 1934 war. Im Archiv der Basler Mission gibt es versteckt unter Ökumene 11 Leitz-Ordner Deutscher Kirchenkampf. Dass die deutsche evangelische Kirche 1948 bei der Weltkirchenkonferenz in Amsterdam wieder in die weltweite Ökumene zurückgekehrt ist, stimmt insofern wegen der Kontakte im Dritten Reich nicht. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober 1945 fand nicht zufällig in Stuttgart statt, weil George Bell die Stadt sehen wollte, von der er seine Informationen bezog. Die Lutherische Weltkirchenkonferenz findet nach 58 Jahren wieder im Mutterland der Reformation statt und folgerichtig in Stuttgart.

Zwölf Stuttgarter Sätze

Im Landeskirchlichen Archiv sind 1945 einige Unterlagen verschwunden. Dazu zählen auch die Zwölf Tübinger Sätze der Evang.-theol. Fakultät Tübingen vom Mai 1934. Zeitgleich mit meiner Entdeckung haben sich Evang.-theol. Fakultät Tübingen und Landeskirchliches Archiv meiner Ansicht nach so zusammengetan, dass ich meine Doktorarbeit "Von der Begeisterung zur Kritik. Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und der Nationalsozialismus von den Anfängen 1933 bis zum Sommer 1934" nicht mehr in Tübingen einbringen konnte. Inzwischen habe ich diese nazifreundlichen Sätze als Anmerkung im Briefwechsel zwischen dem Tübinger Theologieprofessor Gerhard Kittel und dem Bonner Theologieprofessor Karl Barth wiederentdeckt, veröffentlicht in Stuttgart und auch unterschrieben von 600 Pfarrern Württembergs.

Eigene Bücher, Arierparagraph in Württemberg

Ich habe inzwischen 10 Bücher geschrieben, aber nur 3 konnten ohne meine eigene Schuld bisher erscheinen. Bei mir sind alle verstorbenen Pfarrer Württembergs von 1534 bis heute dokumentiert. Darin sind auch die drei Halbarier enthalten, die zwar im Dritten Reich ihr 1. Examen in Tübingen ablegen konnten, aber nicht in den Dienst der Evang. Landeskirche in Württemberg übernommen worden sind. Damit ist konkret belegt, dass der Arierparagraph in Württemberg angewendet wurde. Ebenso sind darin auch erstmals verstorbene Pfarrerinnen enthalten. Das Mömpelgard-Buch konnte kürzlich erscheinen, weil ich es in meiner Freizeit erarbeitet und privat verlegt habe.

Archivordnung der evang. Landeskriche in Württemberg

Die Evang. Landeskirche in Württemberg benötigt eine neue Archivordnung, die nicht nur aufbewahrt, sondern auch aufarbeitet (Wunsch des Deutschen Archivtags in Stuttgart vor ein paar Jahren). Dazu zählt auch die Reduzierung des Datenschutzes von 30 auf 10 Jahre nach dem Tod des Betreffenden in der Evang. Landeskirche in Württemberg. Im Übrigen können Tatsachen jederzeit gebracht werden, aber nicht Verleumdungen.